Im ostthüringischen Saale-Orla-Kreis sollen Asylbewerber zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden. Der frühere Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele (SPD), hält diese Arbeitspflicht nicht für sinnvoll. Die Erfahrungen mit den Ein-Euro-Jobs für Langzeitarbeitslose hätten gezeigt, dass Arbeit nicht zur Kontroverse werden dürfe.

ZEIT ONLINE: Herr Scheele, Sie waren Chef der Bundesagentur für Arbeit, Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium und Senator für Arbeit in Hamburg. Wie sinnvoll ist eine Pflicht zu gemeinnütziger Arbeit für Asylbewerber?

Detlef Scheele: Grundsätzlich hat Arbeit eine elementare Funktion: Sie gibt Menschen eine Struktur im Alltag, ermöglicht Teilhabe, stiftet oft auch einen Nutzen. Arbeit ist ein wichtiges Instrument, wenn es um Integration geht. Eine pauschale Arbeitspflicht aber, so wie sie nun von einigen populistisch gefordert wird, wäre ein teures, aufwendiges und bürokratisches Zuschussgeschäft, das wohl keines der genannten Ziele erreichen dürfte.

ZEIT ONLINE: Wie meinen Sie das? Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen, können dem Staat doch etwas zurückgeben und gemeinnützige Arbeiten verrichten, so steht es auch im Asylbewerberleistungsgesetz.

Scheele: Aber gemeinnützige Jobs liegen nicht einfach auf der Straße. Und Geflüchtete sind auch nicht sofort einsatzfähig. Die meisten müssen erst die Sprache lernen, denn selbst wenn die Menschen einfache Hilfstätigkeiten übernehmen und etwa Parks aufräumen, brauchen sie eine Anleitung. Es gibt Arbeitsschutzbestimmungen, die erklärt und eingehalten werden müssen. Auch bei einfachen Tätigkeiten muss eine Einweisung erfolgen. Die Menschen brauchen für viele Tätigkeiten eine Arbeitskleidung, die eine Kommune dann erst einmal anschaffen muss. Und die Flüchtlinge müssen an ihre Arbeitsorte gebracht werden. Wie soll das zum Beispiel auf dem Land funktionieren, wenn die Gemeinschaftsunterkunft weit entfernt liegt und nur zweimal am Tag ein Bus fährt? Außerdem müssen die gemeinnützigen Arbeiten vermittelt werden. Das kostet sehr viel Geld und Zeit und bindet Personal in den Kommunen, die meistens ohnehin überlastet sind. 

ZEIT ONLINE: Über welche Kosten sprechen wir da?

Scheele: Das hängt von der Kommune ab und der Zahl der Menschen, die unter so eine Arbeitspflicht fallen würden. Aber ich gebe mal ein Beispiel: Ich war viele Jahre lang Geschäftsführer der Hamburger Arbeit-Beschäftigungsgesellschaft (HAB), wo wir etwas Ähnliches gemacht haben, nämlich Langzeitarbeitslose und Menschen, die dem Arbeitsmarkt fern waren, wieder in Arbeit zu vermitteln – über den Umweg von gemeinnützigen Tätigkeiten. Die Hamburger Arbeit war für ein paar Tausend Menschen zuständig und hatte etwa 300 Mitarbeitende. Und wir haben jährlich 90 Millionen Euro netto von der Stadt erhalten. Kurzum: Wer sich hinstellt und eine Arbeitspflicht für Asylbewerber fordert, ohne zu berücksichtigen, was das kostet und wie komplex das Ganze ist, hat einfach nicht nachgedacht. Überdies braucht es einen kommunalen Konsens mit den Kammern, sonst gibt es Streit über Verdrängung regulärer Arbeit. Und den braucht nun wirklich niemand.

ZEIT ONLINE: Es geht ja nicht um sinnentleerte Ein-Euro-Jobs für Langzeitarbeitslose, sondern um ein Beschäftigungsangebot für in der Regel junge Menschen, die sich in Deutschland ein neues Leben aufbauen wollen.

Scheele: Die Zeit der Ein-Euro-Jobs kommt hoffentlich nie wieder zurück. Die Jobcenter hatten damit sehr viel Arbeit, der erhoffte Nutzen ist ausgeblieben. Und die Menschen haben sich gegängelt und stigmatisiert gefühlt. Das Verrückteste, an das ich mich erinnere, war eine Tätigkeit, bei der die Ein-Euro-Jobber für soziale Einrichtungen Puzzleteile zusammensetzen mussten, um herauszufinden, welche Teile fehlten. Ich war heilfroh, als es endlich gelungen ist, die Ein-Euro-Jobs durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ersetzen, die nachweislich einen höheren Nutzen für die Integration auf den Arbeitsmarkt hat. 

ZEIT ONLINE: Der Landkreistagspräsident Reinhard Sager hat sich für eine Arbeitspflicht ausgesprochen. Für ihn ist aber auch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorstellbar. Wäre das denn sinnvoll, um Flüchtlinge sofort in den regulären Arbeitsmarkt zu integrieren?

Scheele: Im Moment fehlen dafür die rechtlichen Grundlagen. In den ersten drei Monaten haben Asylbewerberinnen und Asylbewerber generell keinen Arbeitsmarktzugang. Erst wenn die Ausländerbehörde eine Arbeitserlaubnis erteilt hat, dürfen sie sich eine Beschäftigung suchen. Und die allermeisten tun das auch, viele Flüchtlinge wollen arbeiten und nicht dem deutschen Staat auf der Tasche liegen. Die Bundesagentur für Arbeit muss übrigens in der Regel zustimmen. 

ZEIT ONLINE: Wäre nicht denkbar, dass Asylbewerber auch sofort eine reguläre Arbeit aufnehmen können?

Scheele: Sicher, es gibt immer einen Bedarf an Arbeitskräften für ungelernte Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Doch meine Sorge wäre, dass eine Arbeitspflicht, vor allem wenn man das auch noch so nennt, eher populistische Interessen bedient. Eine sofortige Arbeitspflicht könnte dann sogar kontraproduktiv für die Integration sein, weil sie die Menschen davon abhält, Sprach- und Integrationskurse zu besuchen. Besser wären kürzere Asylverfahren, mehr berufsbegleitende Sprachkurse und eine leichtere Anerkennung von Qualifikationen. Und wenn Kommunen dann noch Mittel und Personal übrig haben, in den ersten drei oder sechs Monaten den Menschen ein Angebot für eine gemeinnützige Tätigkeit zu unterbreiten, bei der sie einen verlässlichen Ansprechpartner und Betreuung haben, dann kann das durchaus förderlich für die Integration sein. Es bleibt aber ein teures Zuschussgeschäft. Und man sollte auch mal die Frage stellen, ob eine Arbeitspflicht nicht sogar einen Pull-Effekt haben könnte. Erst recht, wenn es sofort um sozialversicherungspflichtige Jobs geht.

ZEIT ONLINE: Wie meinen Sie das?

Scheele: Deutschland sendet damit das Signal: Kommt zu uns – als Asylbewerber, und eine Arbeit gibt es auch gleich dazu. Das könnte dann eher anziehend als abschreckend wirken. Mal davon abgesehen, dass weder eine Arbeitspflicht für Asylbewerber noch die Einführung einer Bezahlkarte den Migrationsdruck senken wird.