In der Nacht auf den 29. Mai 1242 dringt eine Gruppe mit Äxten bewaffneter Männer in den Palast von Avignonet ein und ermordet die Inquisitoren Guillaume Arnaud und Étienne de Saint-Thibéry. Die Tat ist exemplarisch für den Widerstand, den die Inquisition schon kurz nach ihrer Gründung hervorrief. Noch heute steht sie für die schauerlichen Seiten des Mittelalters und ist ein Inbegriff institutionalisierter Tyrannei und Willkür. Und doch verkennt, wer die Inquisition allein aus dieser Perspektive betrachtet, ihr Wesen.

Inquirere bedeutet "nachforschen" oder "untersuchen", das Wort "Inquisition" bezeichnet ein Verfahren der katholischen Kirche, mit dem Menschen aufgespürt, verhört und auch verurteilt werden konnten, die von den Glaubenslehren der Kirche abwichen. Dafür griff man auf traditionelle Prozessformen und auf päpstliche Erlasse zurück, schuf aber zugleich um 1230 ein neuartiges Gerichtsverfahren. Dieses Inquisitionsverfahren mag uns heute befremdlich scheinen. Doch es ging dabei aus zeitgenössischer Sicht "mit rechten Dingen" zu – wenn auch nicht alle Menschen bereit waren, das neue Recht umstandslos zu akzeptieren, wie nicht zuletzt das Attentat in Avignonet zeigt.

Dass die Kirche es überhaupt für notwendig befand, an den Gepflogenheiten etwas zu verändern, hat seine Ursache in den gesellschaftlichen Umwälzungen des 12. Jahrhunderts. Das Papsttum sah sich durch die Konkurrenz herausgefordert, die ihm durch neue, als häretisch angesehene Glaubensformen erwuchs und die seine Herrschaft, aber auch seine Einkünfte bedrohte. Vor allem die Katharer hatten regen Zulauf. Für sie stand, vereinfacht gesagt, das ferne "Gute" im Himmel dem "Bösen" auf Erden gegenüber. Die Annahme des "Bösen" erklärte die Übel auf der Welt und löste das Problem, Gott angesichts der irdischen Missstände rechtfertigen zu müssen. Wer im "richtigen" Glauben starb, war unmittelbar erlöst; ein Versprechen, das die katholische Kirche nicht machen konnte.

Zunächst ging die Amtskirche nur vereinzelt und unkoordiniert gegen die Andersgläubigen vor. Welche Strafen gegen sie verhängt werden sollten, war unklar. Die Kirche konnte einen Häretiker lediglich exkommunizieren. Dazu musste bestenfalls Gott selbst in einem "Gottesurteil" zeigen, ob ein Verdächtiger schuldig war oder nicht. Ein probates Mittel war etwa die Feuerprobe. Wenn ein Angeklagter ein heißes Eisen anfasste und die Wunde danach verheilte, galt die Unschuld als erwiesen.

Doch Gottesurteile waren schon im 12. Jahrhundert umstritten, und in einzelnen Fällen hatten aufgebrachte Menschenmassen angeklagte Häretiker sogar ohne Urteil gelyncht oder auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Je deutlicher wurde, dass die neuen häretischen Bewegungen keine vorübergehenden Erscheinungen sein würden, desto dringlicher erschien es, ein angemessenes Instrument der Bekämpfung zu schaffen.

1184 verfügte Papst Lucius III. deshalb in der Bulle Ad abolendam, dass die Bischöfe die Pfarreien in ihrer Diözese zwei- bis dreimal im Jahr aufsuchen sollten, um nach Menschen mit abweichenden religiösen Anschauungen zu fahnden. 15 Jahre später, 1199, verschärfte der als Jurist ausgebildete Innozenz III. in seiner Dekretale Vergentis in senium die Strafen für Häresie. Er systematisierte ihre Verfolgung und zog die Zuständigkeit von den Bischöfen an sich, weil sie, wie er fand, ihre Aufgabe nicht zufriedenstellend erfüllten.

Dieser Text stammt aus dem aktuellen ZEIT Geschichte Magazin, das am Kiosk erhältlich ist.

"Wir verbieten streng, dass jemand es wage, Häretiker aufzunehmen oder zu verteidigen oder sie zu unterstützen oder ihrer Lehre zu glauben", heißt es in seiner Dekretale. Innozenz wollte damit vor allem den mächtigen südfranzösischen Adel treffen, der vielfach die katharische Bewegung unterstützte. Ihm drohte nun der Verlust der Bürgerrechte und des aktiven und passiven Wahlrechts. Katharische Kleriker und Amtsträger wurden ihres Amtes und ihrer Pfründen enthoben. Ihr Besitz und der ihrer Söhne sollte konfisziert und verteilt werden. Doch Innozenz ging noch weiter: Wer vom Glauben abfiel und Christus beleidigte, den wollte er härter bestrafen können als jemanden, der den weltlichen Herrscher beleidigte.

Bereits in der Spätantike hatte auf Majestätsverbrechen wie eine Verschwörung oder einen Anschlag auf den Kaiser die Todesstrafe gestanden. Innozenz bediente sich wie andere vor ihm nun des antiken weltlichen Rechts, um diesen Begriff auch in das kirchliche Recht einzuführen – mit der Todesstrafe als Konsequenz. Da die Kirche keine Todesurteile vollstrecken durfte, brauchte es aber einen politischen Deal mit der weltlichen Gewalt, um dieses Strafmaß auch durch- und umzusetzen. 1224 wurde er geschlossen, mit dem Erlass Cum ad conservandum, in dem Kaiser Friedrich II. verfügte, "dass jeder, der durch den Vorsteher einer Gemeinde oder einer Diözese, in der er lebt, nach ausreichender Überprüfung der Häresie manifest überführt und als Häretiker verurteilt wurde, [...] mit unserer Autorität durch die Strafe des Feuers zu verbrennen ist, dass er in den rächenden Flammen untergehe oder, wenn ihm ein elendes Leben zur Abschreckung für die anderen durch die Richter übrig gelassen wird, ihm [...] die Zunge abgeschnitten wird". Diese Bestimmung ging ins Kirchenrecht ein.