Ausland06. Februar 2024

Vor 90 Jahren

In Paris wurde der Sturz der Republik geprobt

Rechtsextremer Staatsstreichversuch konnte am 6. Februar 1934 vereitelt werden

von Ralf Klingsieck, Paris

Am heutigen 6. Februar jährt sich zum 90. Mal der Tag, an dem französische Rechtsextreme versucht haben, die Republik zu stürzen und eine Diktatur nach dem Muster des ein Jahr zuvor entstandenen Faschismus in Nazideutschlands zu errichten.

Die in den USA bereits 1929 ausgebrochene Weltwirtschaftskrise hatte das wirtschaftlich rückständigere Frankreich erst 1931 erreicht. Dafür kam hier zur Inflation und Massenarbeitslosigkeit noch eine Serie von Finanzskandalen hinzu. Diese gipfelten im Fall des Anlagebetrügers Alexandre Stavisky, eines Juden russischer Herkunft, der zahlreiche Politiker der verschiedenen bürgerlichen Parteien durch Bestechungen von sich abhängig gemacht hatte.

Das erschütterte das Vertrauen der Franzosen in die Politik und die Regierung zutiefst und wurde durch rechtsnationalistische Kräfte – von den Verbänden der Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs über die royalistischen »Camelots du roi« bis zu den Feuerkreuzlern und der rechtsextremen »Action française« – genutzt, um Massen auf die Straßen zu bringen und die innenpolitische Krise weiter anzuheizen. Indem sie Stavisky, der inzwischen Selbstmord begangen hatte oder umgebracht worden war, als Schlüsselfigur darstellten, fachten sie den Antisemitismus neu an, prangerten die Republik, das Parlament und das gesamte bürgerlich-demokratische System als die Schuldigen an der Misere an und propagierten ihre Ablösung durch ein autoritäres Regime, das »Ruhe und Ordnung wiederherstellen« würde.

Eine erste große Demonstration fand am 9. Januar auf dem Boulevard Saint-Germain nahe der Nationalversammlung unter der Losung »Weg mit den Dieben« statt. Ähnliche Demonstrationen gab es den ganzen Januar über. Den Höhepunkt bildete der 6. Februar, an dem im Parlament eine neue Regierung unter Premierminister Edouard Daladier in ihr Amt eingeführt werden sollte. Die Drahtzieher der in einem Zweckbündnis vereinten radikal-antidemokratischen und rechtsextremen Organisationen wollten mit einem Demonstrationszug von mehr als 50.000 Menschen, die sich auf der Place de la Concorde sammelten, die Nationalversammlung stürmen und besetzten.

Doch auf dem nur wenige hundert Meter langen Weg zum Palais Bourbon stellten sich ihnen auf dem Pont de la Concorde über die Seine mehrere hundert Polizisten in den Weg. Nachdem von diesen einige Schüsse abgegeben worden waren, was den Demonstrationszug zum Stehen brachte, kam es zu Handgreiflichkeiten und schwereren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizisten.

Die Straßenkämpfe, bei denen sich die Demonstranten mit Gußeisenstangen vom Geländer des Jardin des Tuileries bewaffneten, aber gegen die Schußwaffen der Ordnungskräfte keine Chance hatten, dauerten von 22 Uhr bis 3 Uhr morgens. Erst dann hatte sich die Polizei endgültig durchgesetzt und Ruhe war wiederhergestellt. An diesem Tag kam ein Polizist ums Leben und 1.600 wurden verletzt, während auf Seiten der Demonstranten zwölf Menschen starben und 650 verletzt wurden.

Die Ereignisse auf der Place de la Concorde wirkten wie ein Stromstoß und mobilisierten die Verteidiger der Republik, vor allem die Linken, die jetzt die Initiative übernahmen. So hat die Französische Kommunistische Partei (PCF) am Abend des 9. Februar auf der Place de la République zu einer machtvollen Kundgebung mobilisiert. Die dort durch die Polizei provozierten Zwischenfälle verfehlten ihren Zweck, denn statt die Kommunisten zu diskreditieren, erreichten sie nur, daß sich viele Sozialisten an ihre Seite stellten und so ihre eigene Parteiführung zwangen, Gespräche über gemeinsame Aktionen aufzunehmen.

Das erste Ergebnis war am 12. Februar ein Generalstreik gegen die Feinde der Republik, zu dem gemeinsam die PCF, die PS und die Gewerkschaft CGT aufgerufen hatten und an dem sich viereinhalb Millionen Menschen beteiligten. Damit war die Staatsstreichgefahr fürs erste gebannt und die Grundlage gelegt für die antifaschistische Volksfront der vereinten linken Kräfte. Sie kam 1935 zustande, trat bei den nachfolgenden Wahlen gemeinsam an und gelangte zwischen Sommer 1936 und Herbst 1938 unter dem sozialistischen Regierungschef Léon Blum vorübergehend an die Hebel der politischen Macht, wobei vor allem einige wichtige soziale Verbesserungen durchgesetzt werden konnten.