Rems-Murr-Kreis

Nach der Holzernte im Rems-Murr-Kreis: Alles kaputt im Wald?

Holzernte
Der Vollernter oder Harvester ist ein Alleskönner bei der Holzernte: Er fällt den Stamm, entastet und zersägt ihn. © ALEXANDRA PALMIZI

Es sieht schlimm aus: Die schönen Wege durch den Wald sind zerstört: Tiefe, gigantische Reifenspuren haben aus der grünen Idylle mit Kiesauflage eine Matsch-Buckelpiste gemacht. Die Baumlandschaft ist alle paar Meter durch breite Schneisen zerrissen: alles platt hier. Am Wegesrand türmen sich dafür die abgesägten Stämme hoch wie eine Wand. Es wird Ärger geben im Wald. Warum machen „die“ dort alles kaputt?

Mit dem 1. Oktober geht’s so richtig los im Wald, dann startet die Holzernte

„Die“, das sind Waldarbeiter, die im Gebiet oberhalb von Oberbrüden im Auftrag von Forst BW, dem Forstbetrieb des Landes, die Bäume fällen, holen, zersägen. „Die“ sind aber zurzeit im ganzen Rems-Murr-Kreis zugange, auch im Auftrag des Kreisforstamts oder privater Waldbesitzer. Denn mit dem 1. Oktober geht’s so richtig los im Wald. Die Waldarbeiter bei Oberbrüden arbeiten für Revierleiter Hans-Joachim Bek. Bek ist seit Wochen im Wald unterwegs und hat all das markiert, was raus soll. Bek ist also verantwortlich für das, was hier passiert. Bek hat allerdings nicht den Ruf eines Naturfrevlers. Ganz im Gegenteil. Er ist längst berühmt für seine Gelbbauchunken, die in seinem Wald ihre liebevollst gepflegten Pfützenrefugien bekommen. Was reitet den Mann jetzt?

Hans-Joachim Bek denkt an das Jahr 2070. Und bekommt das kalte Grausen. Dann nämlich, davon gehen die Forstleute aus, wird’s viel zu heiß. Dann wirkt sich der Klimawandel im Wald so aus, dass er großflächig absterben würde, würde Bek nicht jetzt schon loslegen. Bek denkt, dass das 1,5-Grad-Ziel schon lang nicht mehr erreicht werden wird. Für die Fichten, sagt Hans-Joachim Bek, ist’s dann vorbei. Sie leiden ja jetzt schon. Genauso wie viele Buchen.

Am Wegesrand liegt ein Buchenstamm. Innendrin ist er schwarz. „Kaputt“, sagt Bek. Der Baum hatte zu wenig Wasser bekommen. Dann saugen die Kapillaren – die feinen Gefäße, durch die der Baum das Wasser bis in die Blätter der Krone bringt – Luft. Das tut dem Baum nicht gut. Weil dieser Baum in der Nähe der Strecke stand, wo Spaziergänger laufen, musste er weg. Denn wenn ein Baum so geschädigt ist, wird die Krone sichtbar kahl. Man weiß nie, wann der erste schwere Ast nach unten rauscht. Zu gefährlich. Länger als zwei, drei Jahre hätte der Baum eh nicht mehr überlebt.

Weiter hinten auf dem Weg steht der Vollernter. „Harvester“ heißt er auch. Es ist ein Gigant. 25 Tonnen wiegt das Gefährt. Mit seinem langen Greifarm kann er meterweit zwischen die Bäume reichen, den gewünschten Stamm schnappen, absägen, entasten, in Teilstücke sägen. Er bleibt dabei auf dem Weg. Ein großer Vorteil für den Waldboden.

Aber ja, auch weiter innen im Gelände hat Bek Bäume markiert. Sie sollen Platz machen für Nachwachsendes. Idealerweise lässt Bek viele Fichten rausholen. Und genauso idealerweise wachsen schon Eichen, Buchen oder Douglasien nach. So wird aus einer Monokultur ein bunt gemischter Wald, der eine viel größere Chance hat, dem Klimawandel zu widerstehen.

Dort mitten hinein kommt der Harvester aber nicht. Deshalb gibt’s etwa alle 40 Meter die Schneisen. „Rückegassen“, nennt Bek die. Sie sind nicht geschottert, wie die Fahrwege. Trotzdem fahren schwere Maschinen rein, um das von Forstleuten geschlagene Holz zu holen. Aber die Rückegassen sind auf immer an derselben Stelle. Eindeutig kartografiert. Nur zehn Prozent des Waldbodens werden so durch das schwere Gewicht der Maschinen geschädigt. Auch wenn’s fies aussieht: Hier wird pragmatischer Naturschutz betrieben.

Wieso pragmatisch? Weil natürlich der Wald des Landes auch ein Nutzwald ist. Hier soll mit gutem Holz gutes Geld verdient werden. Aber ist das so verwerflich? Holz ist ein nachwachsender Rohstoff. Holz, im Haus- oder Möbelbau verwendet, bindet auf lange Zeiten hin CO2. Holz als Brennholz ersetzt die fossilen Energieträger und setzt nur das CO2 frei, das es beim Wachsen jüngst gebunden hatte. Holz wird in großen Mengen gebraucht. Warum soll es nicht regional geschlagen werden – unter nachhaltigen Gesichtspunkten? „Wir haben eine der nachhaltigsten Waldbewirtschaftungen der Welt“, sagt Hans-Joachim Bek. Wäre es besser, Holz aus dem Ausland herzufahren, wo keiner weiß, wie die Waldwirtschaft dort aussieht?

Der Wald in Baden-Württemberg ist ein Nutzwald – mit Paradiesflecken

„Unser Wald“, sagt Hans-Joachim Bek, „ist kein Urwald“. Aber obwohl hier gewirtschaftet wird, gibt’s immer wieder große Flecken, die unberührt bleiben. „Refugien“ heißen sie. Kein Baum wird hier gefällt, auch wenn noch so wertvolle Eichen, Eiben, Elsbeeren drinstehen. Denn hier leben, Spechte, Fledermäuse, seltene Insekten.

Die Waldarbeiter sagen, sie würden für den Wald leben, sie würden ihn lieben. Und ja, sie würden in ihm arbeiten. Bei jedem Wetter. Sie machen das, was den Wald, so sagen die Förster, stabiler macht. Denn wenn Luft rund um einen Baum ist, dann muss er nicht nur nach oben zum Licht streben, sondern kann auch in die Breite wachsen. Dann haben die nächsten Stürme keine Chance. Vielleicht können die Förster durch gute Planung auch dem Klimawandel die Stirn bieten. Grund für Ärger im Wald? Alles kaputt hier? Bestimmt nicht. Und die ruinierten Wege werden wieder gerichtet.

Es sieht schlimm aus: Die schönen Wege durch den Wald sind zerstört: Tiefe, gigantische Reifenspuren haben aus der grünen Idylle mit Kiesauflage eine Matsch-Buckelpiste gemacht. Die Baumlandschaft ist alle paar Meter durch breite Schneisen zerrissen: alles platt hier. Am Wegesrand türmen sich dafür die abgesägten Stämme hoch wie eine Wand. Es wird Ärger geben im Wald. Warum machen „die“ dort alles kaputt?

Mit dem 1. Oktober geht’s so richtig los im Wald, dann startet die