Rems-Murr-Kreis

Wenn das Leben im Müll landet

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Vermüllte Wohnung im Kreis_0
Rund dreitausend Bierdosen, haufenweise Kleingeld und viel Unrat: der Nachlass des Mieters in der Sulzbacher Wohnung. © Privat
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Bis auf 60 Zentimeter stapelten sich die Bierdosen auf dem Schlafzimmerboden. Darunter fand sich oft mit dem Dreck verwachsenes Kleingeld.

Sulzbach a .d. Murr. Wenn eine Wohnung unbewohnbar wird, ist das Ausdruck einer seelischen Störung der Bewohner. Und für Vermieter oftmals eine böse Überraschung. Dabei kommt das häufiger vor, als man denkt.

Der Anruf von der Polizei kam im März. Sein Mieter sei verstorben, wurde Rainer M.* von den Beamten mitgeteilt. Sieben Jahre hatte der Mann in der Wohnung in Sulzbach gelebt, die Miete war immer pünktlich eingetroffen, es hatte eigentlich nie Probleme mit ihm gegeben. Einmal nur, so hatte es der Vermieter mitbekommen, wurde dem Mieter mal der Strom abgeschaltet, weil er die Rechnung nicht bezahlt hatte.

Die dicke Überraschung kam erst, als Rainer M. die Wohnung dann nach langer Zeit wieder betrat. Ein Bild des Grauens bot sich ihm. Die Wohnung war komplett vermüllt, der Boden bedeckt mit leeren Bierdosen, Unrat und Müll. Im Schlafzimmer, erzählt Rainer M., reichte der Dosenteppich bis auf Stuhlkantenhöhe. Mindestens zwei- bis dreitausend Dosen mussten es sein, schätzt Rainer M., viele davon so zerdrückt und demoliert, dass kein Pfandautomat sie annehme. Das Klo war nicht mehr zu benutzen, die Küche zerstört, Lebensmittel gammelten still vor sich hin. Der alleine lebende Mann war offenbar suchtkrank gewesen.

Kommt häufiger vor, als man denkt

„Das ist leider kein Einzelfall“ sagt Rechtsanwalt Hartwig Leibfritz von der Kanzlei Schmid & Leibfritz in Waiblingen. Er berät die Mitglieder des Haus- und Grundbesitzervereins Waiblingen und Umgebung in Rechtsfragen. „So etwas kommt häufiger vor, als man denkt“. Er führe jetzt keine Statistik, aber so etwa jede hundertste Wohnung werde in einem desolaten und vermüllten Zustand zurückgelassen. Offizielle Statistiken gibt es zu vermüllten Wohnungen nicht, es gibt keine Meldestellen, die Dunkelziffer ist dementsprechend hoch. Dass es aber öfter vorkommt, als man in der Allgemeinheit annimmt, wird auch von den ambulanten Hilfen Rems-Murr-Kreis bestätigt. Rund 70 Fälle im Kreis hätten sie bereits gehabt.

Ausdruck seelischer Störung

„Wenn Wohnungen unbewohnbar werden, ist das Ausdruck einer seelischen Störung der Bewohner“, schreibt dazu die Ärzte-Zeitung. Die weit überwiegende Mehrzahl der Fälle sei dabei auf vier Diagnosen zurückzuführen: Suchterkrankungen, Psychosen, Depressionen und pathologisches Horten, das sogenannte Messie-Syndrom.

Schlimm für die Betroffenen, für die Angehörigen - aber auch für Vermieter. Rainer M. fing vor sieben Jahren an, Wohnungen zu kaufen, diese zu renovieren und sie dann zu vermieten. Er ist kein Immobilienhai, seine Ersparnisse und Arbeit stecken in seinen Wohnobjekten. Die Wohnung in Sulzbach war seine allererste Vermietung. „Ich war froh, dass ich sie losgeworden bin, war total unerfahren und naiv. Ich hab die Wohnung ohne Kaution vermietet.“ Der Mieter war unauffällig, berufstätig und die Miete kam immer pünktlich. Anfangs war Rainer M. einmal beim Mieter in der Wohnung, da sah es etwas unordentlich aus, aber mehr auch nicht.

Niemals auf Kaution verzichten

„Die Kaution ist das einzige Mittel, mit dem man sich als Vermieter einigermaßen absichern könnte“, empfiehlt Rechtsanwalt Leibfritz. Auch wenn die gesetzliche Höchstgrenze von drei Monatsmieten in solchen Fällen kaum ausreichen dürfte. „Sie haben ja dann Mietausfälle und Kosten durch die notwendigen Renovierungen und Räumungen. Von den Mietern selber ist in den meisten Fällen nichts mehr zu holen.“

Wie auch beim Mieter von Rainer M. Nach dessen Tod musste erstmal das Nachlassgericht tätig werden, denn Eltern und Kinder des Mannes lehnten das Erbe ab. Ein Nachlassverwalter musste bestellt werden, vorher durfte niemand an die Sachen in der Wohnung ran, und das zog sich hin. Unzählige Male telefonierte Rainer M. mit Ämtern und Notaren. Es verging kostbare Zeit. Zeit, in der keine Miete gezahlt wurde und die Wohnung weiter vergammelte. Erst vier Monate später konnte er damit beginnen, die Hinterlassenschaften des Mieters zu entsorgen. Bisher war er mit seinem 3,5-Tonner Lkw rund zehnmal bei der Mülldeponie.

Kleingeld klebte am Boden

Etwaige Wertgegenstände aus dem Nachlass hätte er verkaufen können - es gab aber so gut wie nichts. Bis eben die Bierdosen und unzähliges Kleingeld, das unter dem Müll auf dem Boden klebte, fast schon symbiotisch verwachsen mit dem Dreck. Auf rund tausend Euro schätzt Rainer M. den Wert der Münzen. Wenn er sie denn irgendwo einzahlen könnte. Denn trotz intensiver „Geldwäsche“ blieb das Kleingeld zu dreckig, als dass ein Münzautomat der Banken sie akzeptiert hätte.

Mit dem neuen Mieter habe er jetzt eine Vereinbarung getroffen. Der kümmere sich um die übrigen Bierdosen und die Renovierung, dafür dürfe er bis November mietfrei in der Wohnung leben, danach für eine gewisse Zeit zu einer verbilligten Miete.

Dem Mieter helfen, solange es geht

Für Reiner M. gab es im Vorfeld keine Anzeichen, dass etwas mit seinem Mieter nicht stimmen könnte. Wenn Vermieter oder Nachbarn aber merken, dass da etwas im Argen liege, könnte man auch aktiv werden, bevor die Wohnungs-Kündigung als letztes Mittel drohe. „Die Wohnungsnot ist groß und sobald jemand seine Wohnung durch eine Notlage verliert, weil er sie durch Sucht oder Krankheit verwahrlosen lässt, wird es umso schwerer, wieder unter zu kommen“ sagt Anton Heiser, Abteilungsleiter der ambulanten Hilfe Rems-Murr im Diakonieverbund Erlacher Höhe. Präventiv zu handeln sei daher die beste Möglichkeit. So früh wie möglich könnten sich Betroffene, aber auch Vermieter oder Nachbarn, bei den ambulanten Hilfen melden. Wenn es Probleme mit Mietern gäbe, bei Mietschulden, Suchtproblemen oder sozialen Konflikten, könnten die ambulanten Dienste vermitteln und weiter helfen. Vorausgesetzt, der Betroffene willigt ein.

„Wir versuchen alles, damit jemand seine Wohnung nicht verliert“ sagt Heiser. Er erzählt von einem Fall, als eine Vermieterin sich bei ihnen gemeldet hatte, weil ihr Mieter Suchtprobleme hatte. Der Betroffene wurde direkt von einem Arzt ins ZFP in Winnenden eingewiesen, dort kuriert er seine Sucht. Wenn alles gut geht, kann er bald wieder in seine Wohnung zurückkehren.

Keine Vorurteile

Rainer M. bleibt als Vermieter weiterhin gelassen. Beim Aufräumen in der Wohnung habe er festgestellt, dass sein Mieter wohl auch helle Momente gehabt haben müsse. Er habe viele randvolle Flaschen mit Putzmittel gefunden und auch bereits bezahlte Müllsäcke, die man direkt zur Abholung vor die Tür stellen könnte. Jeder Müllsack koste in etwa 25 bis 30 Euro. „Offenbar dachte er zwischendurch, dass er doch mal aufräumen sollte“. Vorurteile gegenüber alleinstehenden Männern als Mieter habe er weiterhin keine, im Gegenteil. „Nur auf die Kaution, auf die werde ich nie wieder verzichten“.

*der Name wurde von der Redaktion geändert.

Tipps für Vermieter

  • Bei Mietschulen, Konflikten oder Verhaltensauffälligkeiten des Mieters kann man zunächst Kontakt zur Erlacher Höhe Ambulante Hilfen Rems-Murr aufnehmen unter 07191 367970. Sprechzeiten: Mo., Di., Do., Fr. 9.00 - 12.00 Uhr und Di. und Do. 14.00 - 16.00 Uhr.
  • Als Vermieter hat man ein Besichtigungsrecht, wenn ein akuter Grund vorliegt. Klagen Nachbarn beispielsweise über üble Gerüche aus der Wohnung, darf der Vermieter die Wohnung besichtigen.
  • Der Zustand der Wohnung muss bei der Besichtigung festgehalten werden. Besteht die Gefahr, dass die Substanz der Wohnung beschädigt wird, etwa durch Schimmelbildung, kann der Mieter abgemahnt und die Kündigung angedroht werden. Dem Mieter muss zur Beseitigung der Mängel eine ausreichende Frist eingeräumt werden, Rechtsanwalt Leibfritz spricht von vier bis fünf Wochen.
  • Danach sollte die Wohnung erneut besichtigt werden. Ist die Wohnung immer noch gefährdet (der Anwalt spricht hier von „Eigentumsschutz“), darf der Vermieter kündigen.