Wohnanlage umgenutzte St.-Adelheid-Kirche in Geldern

Schöne neue Wohnwelt

Wenn die Kirche zum Zuhause wird

Stand: 07.08.2013, 06:00 Uhr

Unkonventionelle Wohnformen für eine älter werdende Gesellschaft: Im Duisburger Norden stehen statt trister Mietblocks nun moderne Mehrgenerationenhäuser. In niederrheinischen Geldern leben Senioren in einer ehemaligen Kirche.

Von Martin Teigeler

Stefan Dördelmann seufzt. "Das war eine schwere Geburt", sagt der katholische Pfarrer. Der Geistliche musste in seiner Gemeinde viel Überzeugungsarbeit leisten, bis die Umwidmung der St.-Adelheid-Kirche in Geldern am Niederrhein Wirklichkeit wurde. "Nicht wenige Gläubige sagten 'Muss das sein?'", berichtet Dördelmann über Bedenken von Gemeindemitgliedern und lokalpolitische Streitigkeiten.

Pfarrer Stefan Dördelmann in Geldern

Jahrelang wurde um die Nutzung der denkmalgeschützten Kirche in der 30.000-Einwohner-Stadt gerungen. Weil die Kirchengemeinde immer kleiner wird, entschloss sich das Bistum Münster schließlich dazu, aus der Kirche eine Altenpflegeeinrichtung mit angeschlossenen barrierefreien Wohnungen zu machen. Seit 2010 ist das Projekt fertig. "Heute sind die meisten Leute hier froh, dass es so gekommen ist", sagt Dördelmann und lacht. Gottesdienste finden im sakralen Kern des umgebauten Kirchen-Areals übrigens nach wie vor statt.

Minister will "Quartiersentwicklung"

Die zur Wohnanlage umgenutzte St.-Adelheid-Kirche in Geldern

NRW-Bauminister Michael Groschek präsentierte das ungewöhnliche Bauwerk in Geldern Ende Juli 2013 auf einer eintägigen Rundreise als Musterbeispiel für innovative Wohnprojekte. Seit gut einem Jahr ist der SPD-Politiker im Amt. Er wettert gern gegen "Luxusghettos" in Düsseldorf oder schimpft über "Immobilien-Haie", die ganze Viertel im Ruhrgebiet herunterkommen ließen. Auf der Rundreise wollte Groschek nun offenbar das Positive betonen. Eine gezielte "Quartiersentwicklung" sei wichtig, sagt der Minister. "Wir werden weniger, bunter und älter." In den Stadtvierteln müssten Antworten gefunden werden, wie die wachsende Zahl älterer Menschen aktiv am Leben teilhaben könne. Am Wohnprojekt in Geldern lobt der Minister die Offenheit. Die dort lebenden Senioren wohnten in einer Begegnungsstätte mit vielen Veranstaltungen. Zudem belebe die Anlage das Viertel.

Verfall und Arbeitslosigkeit

NRW-Bauminister Michael Groschek bei der Besichtigung einer Wohnanlage in Duisburg

Eine weitere Station der Reise führte nach Duisburg. Während im nahen Düsseldorf teilweise Wohnungsnot herrscht, stehen im wirtschaftlich schwächeren Duisburg zwischen 12.000 und 15.000 Wohnungen leer. Besonders im Norden der Stadt gibt es viele verfallene Wohnblocks, die teils jahrelang nicht saniert wurden. Schäbige Häuserfronten mit verlassenen Geschäften sind keine Seltenheit im Straßenbild. "Im Duisburger Norden finden sich leider zahlreiche alte Bruchbuden", sagt der Duisburger CDU-Lokalpolitiker Rainer Enzweiler. Die Zahl der Arbeitslosen im nördlichen Stadtbezirk Duisburg-Hamborn liegt seit Jahren konstant hoch - aktuell bei 10.714 (Quote: 15,5 Prozent). "Da wohnen viele Menschen, die keine Arbeit haben", berichtet Enzweiler. Die Wohnungen seien entsprechend billig und würden oftmals nicht oder kaum modernisiert.

"Schöne neue Welt" in Duisburg

Vom Land geförderte Wohnanlage in Duisburg

Aber Minister Groschek hat selbst in diesem tristen Duisburger Umfeld ein Leuchtturmprojekt gefunden. In Hamborn-Neumühl wandelte ein privater Investor für 18 Millionen Euro mit staatlichen Fördergeldern einen abgewrackten Hochhaus-Komplex in Mehrgenerationenhäuser um. Drei 70er-Jahre-Hochhäuser wurden dafür abgerissen. Im Netz wird für die Anlage unter dem vollmundigen Titel "Schöne neue Welt" geworben. Neben den insgesamt rund 300 Wohnungen für Kalt-Quadratmeterpreise von 3,90 bis 5,80 Euro bietet das Projekt laut Werbeversprechen unter anderem einen täglichen Mittagstisch, Kleinkinderbetreuung sowie Freizeitangebote für Senioren an. "Man kann in diesem Quartier geboren werden, und man kann hier sterben", beschreibt Investor Uwe Sahle das Wohnkonzept für ein ganzes Menschenleben.

Projekt bleibt Ausnahmeerscheinung

NRW-Bauminister Michael Groschek im Gespräch mit einem Rentner in Duisburg

Ein Zukunftsmodell? Wie Groschek lobt auch der Duisburger Lokalpolitiker Enzweiler das Engagement des Investors. "Aber das Kernproblem bleibt dennoch, dass es in diesem Viertel zu wenige Arbeitsplätze gibt", sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende von Duisburg. Die Mieten in der Sahle-Wohnanlage seien gerade für sozial schwächere Mieter in dem Viertel teils schwer finanzierbar. "Einige sind Quadratmeterpreise von 3,50 Euro gewöhnt." Das Projekt sei also lobenswert, bleibe aber eine Ausnahmeerscheinung in einem sehr problematischen Stadtteil. Dass der jahrelange Umbau des Wohnblocks nicht ganz konfliktfrei ablief, erwies sich beim Rundgang von Minister Groschek über das Gelände. Im Gespräch mit dem Minister erinnerte sich ein Rentner scherzhaft-bissig: "Jetzt sieht alles schön aus. Aber während der Bauarbeiten wären wir besser auf einen Campingplatz gezogen."