Buchcover: "Als ich noch unsterblich war" von Christoph Ransmayr

"Als ich noch unsterblich war" von Christoph Ransmayr

Stand: 04.03.2024, 12:00 Uhr

In seinem neuesten Erzählungsband "Als ich noch unsterblich war" reist der österreichische Schriftsteller Christoph Ransmayr in entlegenste Gegenden der Welt. Aber auch in die eigene Vergangenheit. Eine Rezension von Terry Albrecht.

Christoph Ransmayr: Als ich noch unsterblich war. Erzählungen
S. Fischer Verlag, 2024.
224 Seiten, 24 Euro.

"Als ich noch unsterblich war" von Christoph Ransmayr

Lesestoff – neue Bücher 04.03.2024 05:01 Min. Verfügbar bis 04.03.2025 WDR Online Von Terry Albrecht


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Christoph Ransmayr liebt es, mit den verschiedensten Formen des Erzählens zu experimentieren. Sein ungewöhnlicher Stil ist essayistisch und bildhaft zugleich. Schon zu Beginn von "Als ich noch unsterblich war", im Vorwort, ist das zu entdecken. Ransmayr erzählt von seinem Haus in Wien, genauer gesagt, von der Hausnummer 13 und dem Aberglauben, der sich mit dieser Zahl verbindet, die ihn zu der Auswahl von 13 Erzählungen für das Buch inspirierte.

"13! Die verbotene Dreizehn. In den Mietshäusern der Wiener Gründerzeit wurde über Wohnungstüren, die der Reihenfolge nach die Zahl 13 tragen sollten, zur Ab­wendung jedes mit der Dreizehn verbundenen Unheils 12a gesetzt, bevor die Reihe über diese Tarnung hinweg zur 14 weitersprang."

Viele der in den letzten zwei Jahrzehnten entstandenen Erzählungen gehen auf Vorträge oder Reden zurück. Das merkt man ihnen aber nicht an, da sie im sehr poetisch-erzählerischen Ransmayr-Sound verfasst sind. Das bedeutet: lange elegische Sätze, auch wenn  er wie in "Mädchen im gelben Kleid" die unmenschliche Kolonialgeschichte und ihre Auswirkungen heute in afrikanischen Ländern wie dem Kongo beschreibt und die schreckliche Rolle die die europäischen Kolonialmächte dabei spielten.

"Ohne die hier geschürften Erze und seltenen Erden, ohne die Gold- und Silber- und Diamantminen und unzähligen anderen Bodenschätze, ohne die hier eingebrachten Ernten, ohne die Arbeitskraft von Aber­millionen Sklaven und Billigstlohnarbeitern wäre Europa wohl bis zum heutigen Tag noch längst nicht jenes Paradies, als das es in jenen Flüchtlingsströmen ersehnt und bewundert wird, die auf den Schlachtfeldern von europäisch mitverschuldeten Kriegen und Elends- und Dürregebieten entspringen."

Ransmayrs Reise-Erzählungen sind zugleich Expeditionen in die eigene Vergangenheit, die eigene Herkunft hinterfragend. In der Titelgeschichte "Als ich noch unsterblich war" findet sich eine sehr schöne Kindheitserinnerung des Autors: die am Tellerrand abgelegten Buchstaben der Buchstabensuppe. Diese Suppe war sein erster Kontakt mit der Sprache und ihrer Formung durch Buchstaben, bevor der kleine Christoph lesen konnte.

"Erst allmählich und Teigzeichen für Teigzeichen be­gann sie, mir wie ein kostbares, nur auserwählten Einge­weihten vorbehaltenes Geheimnis zu verraten, ja, zu ver­raten, daß ein O nicht bloß eine Schildkröte und ein S nicht bloß eine Schlange sein, sondern jedes einzelne, aus meinem goldenen Meer gefischte Zeichen eine Bedeu­tung haben konnte, die mir zunächst recht bescheiden erschien, dann aber weit, weit über den symbolischen Zauber hinausreichte."

Mit Blick auf die Buchstabensuppe sagte ihm damals seine Mutter, die auch seine erste Lehrerin war:

"Es liegt an dir. Du hast mit einem Löffel voll Buchstaben dein Leben, die Welt in der Hand."

Das ließ sich Christoph Ransmayr nicht zweimal sagen. Und so startet er seine bis heute andauernde Expedition als Schriftsteller, der ständig neue Kulturen und Sprachen für sich entdeckt und in immer neuen Varianten des Erzählens beschreibt. Indonesische Dörfer, Wüsten, Berge und Weltmeere, der heute 69jährige Ransmayr ist mit seinem Schreiben ein Streiter für mehr Gerechtigkeit in der Welt. Von wem er das hat, erzählt er uns auch.

Die Geschichte "An der Bahre eines freien Mannes" ist seinem Vater gewidmet, einem Dorfschullehrer, der allerdings, ganz Kleistscher "Kohlhaas" es diesem gleichtat und im Kampf um Gerechtigkeit in sein Verderben rannte.

In der Geschichte vom Vater, der, laut Ransmayr, erst im Tod zu einem "freien Mann" wurde, würdigt er ihn in gleicher Weise wie die Länder, die er bereist und deren Menschen er in ihrem Kampf um Anerkennung und Gerechtigkeit so eindringlich und poetisch beschreibt.