Hundetraining für Zustellkräfte bei der Post

02:28 Min. Verfügbar bis 11.09.2024

Nachhilfe für Postboten: Wie das Paket am Hund vorbeikommt

Stand: 11.09.2023, 19:11 Uhr

Im vergangenen Jahr wurden bundesweit etwa 1.800 Postzusteller von Hunden angegriffen und gebissen. Zuviele, findet die Deutsche Post und bietet ihren Zustellkräften darum regelmäßig spezielle Hundetrainings an – zum Beispiel in Aachen.

Von Heiko Jaeckel

"Komm ruhig näher, ich hab den Hund im Griff", hört Annika Staudt den Kunden rufen, dem sie ein Paket übergeben möchte. Der Kunde steht mit seinem Schäferhund auf der anderen Seite eines Zauns. Der Hund macht allerdings einen unruhigen Eindruck. Annika Staudt geht darum lieber nicht näher heran, legt das Paket auf den Boden und zieht sich langsam zurück.

Der Kunde schimpft, aber der Hund reißt sich plötzlich los, springt locker über den Zaun und stürzt sich voller Aggressivität auf das Paket. In Sekundenschnelle ist der Karton zerfetzt. "Ich hab mich schon erschreckt", gibt Annika Staudt offen zu, "hatte nicht damit gerechnet, dass der Hund da rüberspringt."

„Eure Gesundheit ist viel wichtiger als die Zustellung“

Zum Glück für sie ist die Szene nur nachgestellt, ist Teil des eintägigen Hundetrainings für Zustellkräfte der Deutschen Post und DHL in Aachen. Der vermeintliche Kunde ist Hundetrainer Uwe Graute, der mit seinem Kollegen Michael Pfaff und dem Belgischen Schäferhund namens Clip schon viele solcher Workshops angeboten hat.

"Das ist ein Riesen-Problem, dass ihr euch zu sehr auf den Kunden verlasst", erklärt Michael Pfaff den Zustellern nach der Übung, „der Hund passt auf sein Grundstück auf. Und wenn ich schon aus der Entfernung erkenne, dass der Hund emotional sehr geladen ist, dann haltet euch fern und zieht euch zurück. Denn eure Gesundheit ist viel wichtiger als die Zustellung."

Hundetrainer Michael Pfaff hört den Teilnehmern zu

Annika Staudt hat eine ähnliche Situation schon am eigenen Leib erfahren. "Ich stand am Zaun, hab mich mit der Kundin, die ich kannte, unterhalten und dann mal den Hund angeguckt. Und da hat er zugeschnappt und mir in den Finger gebissen“, erzählt die 31-Jährige, "aber es war nicht so schlimm.“

Glück gehabt. Von den rund 1.800 bundesweiten Hunde-Angriffen im vergangenen Jahr waren laut Deutscher Post die Verletzungen bei gut 1000 so schwer, dass die Betroffenen einen oder mehrere Tage ausfielen.

Den Hund immer beobachten, aber nicht anstarren

"Euer Auftreten sollte sehr selbstbewusst sein. Den Hund ignorieren, aber nicht weggucken, sondern immer den Hund beobachten“, rät Hundetrainer Michael Pfaff den 13 Teilnehmern. Beobachten ja, aber: "Nicht anstarren. Schaue niemals einem Hund tief in die Augen."
Bei einer anderen Übung kommt den Zustellern schon auf dem schmalen Gehweg zum Kunden eine Person mit Hund entgegen. Eine banale, alltägliche Situation. Aber auch sie kann durch zu intensiven Blickkontakt gefährlich werden.

"Achtet darauf, dass immer etwas oder jemand zwischen euch und dem entgegenkommenden Hund ist, und sei es, ihr bittet den Hundebesitzer, den Hund auf die andere Seite zu nehmen", empfiehlt Michael Pfaff.

Auch ein Hundetrainer lernt noch dazu

Seit 25 Jahren ist der Dortmunder Hundetrainer, seit zwölf Jahren gibt er Workshops für Brief- und Paketzusteller. Mit klaren Ratschlägen, die sich aber im Lauf der Jahre auch schon mal geändert haben.

„Ich hab zum Beispiel anfangs gesagt, dass man durch das Verteilen von Leckerchen einen Hund emotional herunterfahren kann, hätte aber nie gedacht, dass er auch aus Frustration beißen kann, wenn er dann mal kein Leckerchen bekommt, weil der Zusteller mal ausnahmsweise keins dabei hat oder eine Urlaubsvertretung das Paket ausliefert."

„Man hat dann durch das Verteilen die Erwartungshaltung des Hundes gesteigert“, hat Michael Pfaff gelernt. Gelernt von den Erzählungen und Erfahrungen der Zusteller. Darum gibt er nicht nur Tipps, sondern hört auch immer ganz genau zu.

Hund vs. Postbote: "Verantwortung hat immer Halter"

WDR 5 Morgenecho - Interview 11.09.2023 05:07 Min. Verfügbar bis 10.09.2024 WDR 5


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Ist die Gefahr zu groß, wird nicht zugestellt

Bei der Deutschen Post gibt es die klare Ansage an die Zusteller, im Notfall sogar die Auslieferung eines Briefs oder Pakets zu verweigern, wenn die Situation zu gefährlich erscheint.

Und wenn dann einer mal gebissen wird und Angst vor der nächsten Zustellung an diesen Haushalt hat? „Wir schicken auf keinen Fall den Zusteller nochmal dahin“, versichert Christian Anbild, der bei der Deutschen Post im Raum Aachen für das Personal zuständig ist: „Aber noch wichtiger ist uns, dass es erst gar nicht zu solchen Situationen kommt, und darum bieten wir unseren Mitarbeitern einmal im Halbjahr so ein Seminar an."

Erstaunt von der Kraft des Hundes

Bei der Abschlussübung halten die Zusteller ein sogenanntes Beißkissen in den Händen. Es soll ein Paket simulieren – und auch die eigenen Arme. Dann wird Schäferhund Clip auf sie losgelassen und beißt kräftig zu. Auch wenn sie mit diesem Übungs-Angriff gerechnet haben: Die Teilnehmer sind ausnahmslos erstaunt, wieviel Kraft der Hund hat.

Mühelos treibt er sie nach hinten und würde sie umwerfen, wenn Hundetrainer Uwe Graute sie nicht festhalten würde. “Was wiegt der?“, will Annika Staudt wissen. „33 Kilogramm“, antwortet Uwe Graute, „das ist nix! Naja, zumindest wenig im Vergleich zu Annikas eigenem Hund – auch ein Schäferhund, der aber 40 kg wiegt.

Dass sie mal gebissen würde, obwohl sie selbst einen Hund hat, damit hatte sie nie gerechnet. „Seitdem bin ich etwas vorsichtiger geworden und habe mich für dieses Training hier angemeldet, um zu erfahren, wie ich mich besser schützen kann.“

Aus ihrer Sicht hat sich die Teilnahme gelohnt. Auch wenn sie wohl nicht alles Gelernte in der Praxis umsetzen wird. „Ich kenne halt viele Hunde meiner Kunden sehr, sehr gut“, erklärt sie, „darum werde ich sie weiterhin streicheln. Aber nicht mehr blind draufzugehen, sondern erstmal gucken: Wie ist der Hund heute drauf?“