ZWST Interview - Im Gespräch mit Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZWST Interview - Im Gespräch mit Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Lisa Paus

Sehr geehrte Frau Ministerin, wir freuen uns, dass Sie im September 2022 an der Delegationsreise nach Israel teilgenommen haben, die die ZWST kontinuierlich mit Repräsentant:innen der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege durchführt. Was haben Sie von dieser Reise mit nach Hause genommen? „Das war eine besondere Reise mit sehr intensiven Eindrücken. Ich habe viele Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern von Politik und Zivilgesellschaft geführt und war beeindruckt von dem sozialen Engagement, aber auch der Offenheit und Herzlichkeit der Menschen. Besonders berührt hat mich der Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem. Ich habe am Denkmal für die im Holocaust ermordeten Kinder gesprochen und einen Kranz niedergelegt. Yad Vashem macht deutlich, dass jedes deutsche Regierungshandeln mit Bezug zu Israel untrennbar mit der Geschichte des Holocaust verbunden ist. Die Geschichte muss für uns immer Auftrag sein, zukunftsgewandt zum Wohle aller Menschen zusammenzuarbeiten. Auch die Gespräche mit den Präsidentinnen und Präsidenten der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege waren für mich äußerst wertvoll. Mein ausdrücklicher Dank gilt aber insbesondere der ZWST für die hervorragende Organisation der Reise.“ 
 
Die „Kindergrundsicherung“ ist eines der zentralen Themen, die in der Ampel-Koalition diskutiert werden. Die ZWST unterstützt dieses Vorhaben. Warum brauchen wir eine Kindergrundsicherung? „Für mich persönlich und als Politikerin ist die Bekämpfung von Kinderarmut das wichtigste Thema. Ich will nicht länger hinnehmen, dass in Deutschland jedes fünfte Kind in Armut aufwächst oder von Armut bedroht ist. Zu viele Kinder erleben tagtäglich, was es bedeutet, nicht genug Geld zu haben. Mit der Kindergrundsicherung wollen wir dafür sorgen, dass es armutsgefährdeten Kindern besser geht, Familien sorgen- und angstfreier leben können und dass Armut nicht mehr versteckt ist. Die Kindergrundsicherung soll sicherstellen, dass Familien zukünftig tatsächlich die Leistungen, auf die sie Anspruch haben, auch erhalten.“ 

Wann ist mit einer sach- und bedarfsgerechten Definition des kindlichen Existenzminimums zu rechnen? „Die Kindergrundsicherung soll Armut wirksam bekämpfen. Dafür brauchen wir eine Neuberechnung des Existenzminimums der Kinder, wie es uns auch der Koalitionsvertrag vorgibt. Seit gut 15 Jahren hat sich beim Existenzminimum nichts verändert, obwohl die Lebenshaltungskosten ständig gestiegen sind und aktuell die hohe Inflation viele Familien hart trifft. Die Arbeitsgruppe zur Kindergrundsicherung, an der insgesamt sieben Ministerien beteiligt sind, arbeitet auch an der Neuberechnung des Existenzminimums. Zuständig ist hier das Bundesministerium für Arbeit und Soziales.“ 

Die ZWST ist eine der wichtigsten Plattformen für die junge, jüdische Generation. In ihrer täglichen Arbeit ist sie mit Herausforderungen befasst, die Kinder und Jugendliche während und nach der Pandemie geprägt haben. Das Bundesfamilienministerium hat das „Bündnis für die junge Generation“ ins Leben gerufen, der Präsident der ZWST, Abraham Lehrer, ist Partner dieser Initiative. Wie kann das Bündnis der jungen Generation konkret mehr Gehör verschaffen? „Wir müssen mehr Rücksicht nehmen auf die junge Generation. Viele der 22 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland machen sich Sorgen und blicken skeptischer als früher in die Zukunft. Sie haben den Eindruck, dass sie mit ihren Bedürfnissen kaum wahrgenommen werden – und dass sie nur wenig Einfluss haben auf Entwicklungen, die ihr Leben und ihre Zukunft bestimmen. Deshalb habe ich das ‚Bündnis für die junge Generation‘ ins Leben gerufen. Jede:r Bündnispartner:in trägt mit eigenen Beiträgen ganz konkret dazu dabei, dass die Belange der jungen Generation mehr Aufmerksamkeit erhalten. Ich bin sehr froh, dass Herr Lehrer von Anfang an dabei ist und unterstütze sein Anliegen, junge Menschen in einer heterogenen Gesellschaft in ihren Lebensrealitäten zu stärken. Dazu gehören auch die Angebote der Jugendarbeit der ZWST zur Förderung einer selbstbewussten jüdischen Identität.“ 

Israel-Reise der BAGFW: Bundesministerin Lisa Paus im Gespräch mit Efrat Rayten, Knesset-Abgeordnete und  Vorsitzende des Arbeits- und Wohlfahrtsausschusses.

In der unmittelbaren Arbeit mit geflüchteten Menschen aus der Ukraine schöpft die ZWST aus der Expertise und Best Practice ihrer langjährigen Integrationsarbeit von und mit Menschen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Daher sind der ZWST die Herausforderungen vertraut, die sich im Zuge von Zuwanderung ergeben. Wie bereitet sich die Bundesregierung auf die mittel- und langfristige Integration geflüchteter Menschen vor? Welche Unterstützungsmaßnahmen sind für vulnerable Gruppen vorgesehen? „Wichtig war, dass es für die Integration geflüchteter Menschen bereits etablierte Angebote gab, die in den letzten Jahren deutlich ausgeweitet wurden, wie die Beratung und Betreuung von ausländischen Geflüchteten einschließlich der Integration von jüdischen Zugewanderten. Die Menschen, die aus der Ukraine zu uns kommen, haben hier Anspruch auf Sozialleistungen, Zugang zum Arbeitsmarkt und die Möglichkeit, sich um eine Ausbildung oder einen Studienplatz zu bewerben. Darüber hinaus gibt es besondere Unterstützungsangebote wie z.B. das ESF-Programm ‚MY TURN - Frauen mit Migrationserfahrung starten durch‘ zur Arbeitsmarktintegration von zugewanderten Frauen.“ 

Wichtige Bildungsinstitute wie das Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment in Trägerschaft der ZWST waren lange Jahre durch das Bundesprogramm „Demokratie Leben!“ nur befristet gefördert und hatten so trotz erfolgreicher Arbeit große Probleme, ihre Arbeit zu verstetigen und zu erweitern. Wie kann das auf den Weg gebrachte „Demokratiefördergesetz“ dazu beitragen, erfolgreiche Bildungs- und Präventionsarbeit nachhaltig zu gestalten? „Für eine erfolgreiche Bildungs- und Präventionsarbeit zur Stärkung unserer Demokratie und des zivilgesellschaftlichen Engagements brauchen wir eine solide gesetzliche Grundlage. Gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium haben wir einen Gesetzentwurf erarbeitet, der genau das bietet. Mit dem Gesetz wollen wir einen gesetzlichen Auftrag für den Bund schaffen, zivilgesellschaftliches Engagement und politische Bildung in seiner Qualität zu erhalten und zu stärken. Und die Projekte und Initiativen können längerfristig, altersunabhängig und bedarfsorientierter gefördert werden als bisher.“
 
Wie wird das Gesetz im Kampf gegen Extremismus helfen? „Das Demokratiefördergesetz ist ein wichtiger Baustein, um Menschen zu unterstützen, die sich insbesondere rassistischen, rechtsextremistischen, antisemitischen und allen anderen demokratiefeindlichen Bedrohungen entgegenstellen. Zusätzlich erhält der Bund eine gesetzliche Grundlage, eigene Maßnahmen zu initiieren. Angesichts einer zunehmenden Radikalisierung und Polarisierung – und damit Instrumentalisierung von Meinungen – verdient die engagierte Zivilgesellschaft diese effektive Unterstützung.“  

Sehr geehrte Frau Ministerin, wir bedanken uns für das Interview! HvB, ZWST 

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