Materialpreissteigerung – Risikoverteilung und Preisgleitklauseln

Gegenwärtig sehen sich Auftragnehmer und Auftraggeber erheblichen Herausforderungen bzgl. Lieferengpässen und explosionsartigen Materialpreissteigerungen ausgesetzt. Bedingt durch die Covid-19-Pandemie und den Ukraine-Krieg und damit verbundener Rohstoffknappheit kommt es bei Materialien zu erheblichen Preisschwankungen. In der Praxis stellt sich nunmehr die Frage, wer dieses Teuerungsrisiko zu tragen hat. Es gilt, einen Mittelweg zwischen wirtschaftlicher Kalkulation der Unternehmen, dem Wettbewerb sowie dem Grundsatz wirtschaftlicher Beschaffung auf Seiten des Auftraggebers zu schaffen.

Materialpreissteigerung – Risikoverteilung und Preisgleitklauseln
Bedingt durch die Covid-19-Pandemie und den Ukraine-Krieg und damit verbundener Rohstoffknappheit kommt es bei Materialien zu erheblichen Preisschwankungen. In der Praxis gilt es jetzt, einen Mittelweg zwischen wirtschaftlicher Kalkulation der Unternehmen, dem Wettbewerb sowie dem Grundsatz wirtschaftlicher Beschaffung auf Seiten des Auftraggebers zu schaffen. | Foto: Pexels

1. Risikobetrachtung im vergabe- und vertragsrechtlichen Kontext


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Bei einer anzustellenden Risikobetrachtung betreffend Materialpreissteigerungen sind die verschiedenen Zeitpunkte im vergabe- und vertragsrechtlichen Kontext zu betrachten.

1.1 Zeitpunkt: Im Vergabeverfahren

Schon im laufenden Vergabeverfahren müssen die Beteiligten mit potenziellen Preissteigerungen umgehen. Ohne Preisgleitklausel liegt dabei das Kalkulationsrisiko auf Seiten des Bieters. Denn der Bieter ist an sein Angebot gebunden und kann auf eintretende Materialpreissteigerungen nicht adäquat reagieren. Nachverhandlungen der Preise sind in förmlichen Vergabeverfahren nicht zulässig. Mitunter wird daher versucht, diesem Risiko mit eigenen Vertragsbedingungen im Angebot entgegenzuwirken. Es wird etwa darauf hingewiesen, dass das Angebot freibleibend und damit unverbindlich sei. Ein solcher Versuch einer Risikoabwälzung ist jedoch im Rahmen von Vergabeverfahren nicht zulässig. Bieter laufen Gefahr, dass diese Vertragsbedingungen die Vergabeunterlagen unzulässig abändern und damit einen Ausschlussgrund darstellen (vgl. VK Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 10.12.2004, VK 23 / 04; VK Bund, Beschl. v. 3.4.2006, VK 2 – 14/06).

Außer durch eine risikobewusste Kalkulation besteht im Vergabeverfahren selbst daher kaum eine Möglichkeit für den Bieter, die Materialpreissteigerungen abzufedern und Klauseln individuell nachzuverhandeln.

Fraglich ist aber, ob Bieter nicht von Auftraggebern die Aufnahme einer Preisgleitung verlangen können. Bisher wurde eine entsprechende Verpflichtung des Auftraggebers eher kritisch betrachtet. Die Vergabekammer Westfalen hat jedoch in ihrem Beschluss vom 12.7.2022 (Az. VK 3-24/22) entschieden, dass Preissteigerungen wegen des Ukraine-Krieges ein ungewöhnliches Wagnis darstellen. Soweit der Auftraggeber den Bietern ein ungewöhnliches Wagnis aufbürdet für Umstände und Ereignisse, auf die sie keinen Einfluss haben und deren Einwirkung auf die Preise sie nicht abschätzen können, verletzt der Auftraggeber das bieterschützende Gebot gem. § 7 Abs. 1 Nr. 3 EU VOB/A. Der Auftraggeber ist also gehalten, ein ungewöhnliches Wagnis nicht einfach den Bietern aufzubürden. Vielmehr muss er eine seriöse und zumutbare Kalkulation ermöglichen. Wenn man also mit der Rechtsprechung der VK Westfalen in der Preissteigerung infolge des Ukraine-Krieges ein unzumutbares Wagnis sieht, muss vergaberechtskonform weiter angenommen werden, dass Preisrisiken ausgeglichen werden müssen. Hier käme sodann die verpflichtende Aufnahme einer Preisgleitklausel ins Spiel. Mit dem Beschluss der VK Westfalen haben Bieter somit einen Argumentationsansatz, schon bei der Ausgestaltung der Vergabeunterlagen eine angemessene Absicherung des Kalkulationsrisikos, mithin die Aufnahme einer Preisgleitklausel zu fordern.

1.2 Zeitpunkt: Nach Zuschlagserteilung – vertraglicher Bereich

Des Weiteren ist auch der Zeitpunkt nach Zuschlagserteilung, also der vertragliche Bereich, in Augenschein zu nehmen. Dabei ist zu beachten, dass die zuvor vereinbarten Einheitspreise als Festpreise trotz Materialpreissteigerung nach Vertragsschluss verbindlich bleiben. Bauverträge sind i.d.R. Festpreisverträge. Diese sind grundsätzlich nicht flexibel bei Materialpreissteigerungen anpassbar. Die wesentliche Änderung laufender Verträge (z.B. die Abänderung der Vergütung) ist grds. neu ausschreibungsrelevant.

Ein Anspruch auf Vertrags- und Preisanpassung kann ohne eine vertragliche Regelung auch gesetzlich etwa über das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB bestehen, wobei § 313 BGB hohe Anforderungen aufstellt. Die Möglichkeit einer Preisanpassung über § 313 BGB wurde in der Rechtsprechung meist verneint, weil das Risiko der Kostensteigerung bei Baustoffen ausschließlich dem Auftragnehmer zugewiesen wurde (OLG Hamburg, Urt. v. 28.12.2005 – 14 U 124/05). Dies gilt jedoch nicht in Fällen höherer Gewalt, weshalb die Ereignisse der Ukraine-Krise grundsätzlich geeignet sind, die Geschäftsgrundlage des Vertrages i.S.v. § 313 BGB zu stören. Die daran anschließende Frage der Unzumutbarkeit ist aber einzelfallabhängig zu betrachten (BGH, Urt. v. 12.1.2022, Az.: XII ZR 8/21) und scheitert bei neu abgeschlossenen Verträgen meist daran, dass die Problematik von Preissteigerungen bereits bekannt ist.

1.3 Tatsächlich angefallene Kosten bei Nachträgen und verzögerter Vergabe

Auch ohne entsprechende vertragliche Anpassungsregelung können Preissteigerungen jedoch im Rahmen von Nachträgen relevant werden. Dies gilt z.B. bei Mengenmehrungen. Für alle Mengen oberhalb der 110 %-Grenze des § 2 Abs. 3 VOB/B hat der Auftragnehmer einen Anspruch auf Vergütung der tatsächlich erforderlichen Kosten (BGH, Urt. v. 08.08.2019 – VII ZR 34/18 und Urt. v. 21.11.2019 – VII ZR 10/19). Für Nachträge aufgrund nachträglicher Anordnung gibt es obergerichtliche Rechtsprechung mit dem gleichen Resultat (KG Berlin, Urt. v. 10.7.2018 – 21 U 30/17). Demnach komme es auch bei Nachträgen nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B nicht auf eine Fortschreibung der Urkalkulation, sondern auf die tatsächlich erforderlichen Kosten an. Über die tatsächlich erforderlichen Kosten werden somit auch eingetretene Preissteigerungen erfasst.

Auch bei verspäteter Vergabe und damit einhergehend einem späteren Baubeginn kommen die tatsächlichen Mehrkosten zum Tragen. Der BGH hat in seinem Urteil vom 11. Mai 2009 (Az.: VII ZR 11/08) entschieden, dass die Erklärungen der Parteien durch ergänzende Vertragsauslegung trotz Verzögerung des Vertragsschlusses als bindend anzusehen sind. Die ursprünglich angebotenen Preise werden somit zunächst Vertragsinhalt. Über die ergänzende Vertragsauslegung ist die vertragliche Vergütung sodann aber nach den Grundsätzen des § 2 Abs. 5 VOB/B anzupassen. Auch hier werden tatsächliche Mehrkosten und damit eingetretene Preissteigerungen beachtlich.

2. Potenzielle Lösung: Vereinbarung von Preisgleitklauseln

Dem hohen Kalkulationsrisiko wird auf Auftragnehmerseite entweder durch Nichtbeteiligung am Vergabeverfahren oder durch erhebliche Risikozuschläge begegnet. Dies wiederum hat nachteilige Folgen für die Auftraggeber, die den Beschaffungsbedarf entweder gar nicht oder nur mit erheblichen finanziellen Einbußen gedeckt bekommen. Mitunter werden begonnene Verfahren abgebrochen, weil keine wirtschaftliche Realisierung mehr möglich ist.

Um Bieter überhaupt dazu zu bewegen, sich an einem Verfahren zu beteiligen, gewinnen sog. Preisgleitklauseln zunehmend an Beliebtheit. Auch das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWST) hat für Bundesbaumaßnahmen mit Erlass vom 25. März 2022 die Verfügung getroffen, dass das Formblatt 225 des Vergabehandbuchs (VHB) und damit eine Preisgleitklausel in neuen und laufenden Vergabeverfahren vorzusehen ist.

Doch es ist Vorsicht geboten: Insbesondere das VHB des Bundes sieht eine klare Struktur vor, die die praktische Anwendbarkeit durchaus erschwert. Der Auftraggeber muss Indizes vorgeben und Basiswerte ermitteln, ohne die die Preisgleitklausel nicht funktioniert. Häufig werden Klauseln verwendet, ohne dass die notwendigen Angaben enthalten sind. Dies führt dann in letzter Konsequenz dazu, dass Klauseln unwirksam sind. Auch die Rechtsprechung hat sich bereits mit Preisgleitklauseln beschäftigt. Der BGH hat die Vorgängerversion des Formblattes 225 für unwirksam, da überraschend, erklärt (vgl. BGH, Urt. v. 25.01.2018 – VII ZR 219/14). Das OLG Naumburg meint, dass eine falsche Indexwahl zur Unwirksamkeit der Klausel führt (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 12.11.2010 – 6 U 69/10). Der Versuch der Autoren des VHB, die praktische Anwendbarkeit des Formblattes durch eine Fortentwicklung zu vereinfachen (Formblatt 225a), ist begrüßenswert, greift aber ebenfalls zu kurz, da Auftraggeber oft nicht wissen, wie das Formblatt anzuwenden ist. Die Verwendung der Preisgleitklausel des VHB muss also mit Vorsicht und ausreichender Vorbereitung erfolgen, da andernfalls das Ziel einer ausgewogenen Risikoverteilung verfehlt wird. Allgemeine Verhandlungsklauseln werden auftraggeberseits oftmals abgelehnt, da interne Richtlinien die Verwendung des VHB vorsehen.

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3. Verpflichtung für den Auftraggeber?

Es gilt derzeit der Grundsatz, dass keine vergaberechtliche Verpflichtung des Auftraggebers besteht, Preisgleitklauseln aufgrund des Erlasses des BMWST vom 25. März 2022 in die Ausschreibungen zu integrieren, soweit nicht Bundesbaumaßnahmen betroffen sind. Es kommt alleine auf interne Anwendungsbefehle für Bundes- und Landesbehörden an. Doch auch bei entsprechendem Anwendungsbefehl entfaltet eine inneradministrativ wirkende Vorschrift keine direkte vergaberechtliche Relevanz (VK Westfalen, Beschl. v. 12.7.2022 – VK 3-24/22). Wenn eine Preisgleitklausel nicht vorgesehen wird, stellt dies daher keinen Vergaberechtverstoß dar. Erst durch die o.g. Entscheidung der VK Westfalen steht fest, dass der Erlass das Vorliegen eines ungewöhnlichen Wagnisses intendiert, sodass trotz fehlender Gebotswirkung indirekt Druck auf den Auftraggeber durch den Auftragnehmer ausgeübt werden kann (s.o.).

Autoren: RA Carsten Schmidt, L.L.M. (im Bild), RA Robin Lorenz und Wiss. Mit. Simon van den Heuvel, Vergabe- und Baurechtskanzlei CLP Rechtsanwälte mit Standorten in Düsseldorf, Berlin, Münster und Köln | Foto: Carsten Schmidt
Autoren: RA Carsten Schmidt, L.L.M. (im Bild), RA Robin Lorenz und Wiss. Mit. Simon van den Heuvel, Vergabe- und Baurechtskanzlei CLP Rechtsanwälte mit Standorten in Düsseldorf, Berlin, Münster und Köln | Foto: Carsten Schmidt

4. Fazit

Die aktuelle Marktsituation ist angespannt und zwingt die Beteiligten zum Handeln. Während Auftragnehmer grundsätzlich das volle Risiko von Preisschwankungen übernehmen müssen, was die wirtschaftliche Kalkulation extrem erschwert, beklagt auch die öffentliche Hand Auswirkungen. Denn viele Unternehmen geben aufgrund der Risikoverteilung keine Angebote mehr ab, sodass das Beschaffungswesen vielerorts ins Stocken gerät. Es ist zu begrüßen, dass daher Preisgleitklauseln an Beliebtheit gewinnen. Leider ist jedoch zu beobachten, dass der vermeintlich schnelle Griff zu Formblättern oftmals dazu führt, dass Preisgleitklauseln veröffentlicht werden, die praktisch schlicht nicht umsetzbar sind. Dies führt zu späteren Auseinandersetzungen und ist kontraproduktiv. Andere vertragliche Vereinbarungen scheitern an oftmals starren Vorgaben der Verwaltung.

Im Ergebnis ist also ein Ruck in der Branche zu verzeichnen. Eine ideale Lösung und Umsetzung von Preisgleitklauseln sind allerdings noch in weiter Ferne. Hierzu müssen zunächst praktikable Preisgleitklauseln entworfen und starre verwaltungsinterne Vorgaben aufgebrochen werden. Solange dies nicht geschieht, wird sich die Situation nicht beruhigen. Es wird bis auf Weiteres auf die Gesprächsbereitschaft der Parteien und auf eine gemeinsame und zielführende Lösung ankommen, die schon vielfach gesucht und gelebt wird.


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